UEberbruecken,
Leben, Schreiben
Nils
Plath
fuer
C.P. in K.
'Lesen
ist wie ein UEber-setzen von einem Ufer
zu einem fernen anderen, von Schrift
in Sprache. Ebenso ist das Tun des UEbersetzers
eines 'Textes' UEber-setzen von Kueste
zu Kueste, von einem Festland zum anderen,
von Text zu Text.' (1) Das lesen wir
in einem Aufsatz von Hans-Georg Gadamer.
Ein nicht mehr ganz neuer Topos und
eine Bildlichkeit finden wir hier wieder,
mit deren Hilfe die Vollzugsweise des
Verstehens in der Auslegung und sein
grundlegendes Sprach- und Literaturverstaendnis
beschrieben wird. Schon das Lesen von
poetischen Texten in der eigenen Muttersprache
gleicht nach dieser hermeneutischen
UEberzeugung einer UEbersetzung, die
fast wie eine UEbersetzung in eine Fremdsprache
ist. Auffaellig, dass sich auch hier
die Aussagen zum Lesen, Verstehen und
UEbersetzen von Metaphern des Ortes
verbuergen lassen.
Die
Bruecke, ein erhabenes Symbol. Die deutsche
Sprache kennt den Begriff des Baukunstwerks.
Bruecken zaehlen zu ihnen und sind doch
vielleicht mehr als jedes andere Bauwerk
einer primaeren Funktion unterworfen.
Die ist klar definiert: sie garantiert
den Transport. So scheint es. Ein Satz
aus einem Dokumentarfilm laesst uns
etwas anderes wissen: 'Die Autobahnbruecke
traegt eine Perspektive in die Landschaft
ein.' Der Titel: Reichsautobahn.
Regie, Buch, Schnitt: Hartmut Bitomsky,
1986 erstaufgefuehrt. Er handelt vom
Bau der deutschen Autobahn: ein gemachter
Mythos, ein Gesamtkunstwerk, in dem
Bruecken wie einst die Kathedralen wirken
sollten. Der Kommentar: 'Es gab zwei
Fraktionen von Brueckenbauern, die ihre
Auseinandersetzungen hatten. Architekten
hier, Ingenieure dort. So waren die
Rollen verteilt. Die einen wollten moderne
Bruecken konstruieren, aus Beton und
Stahl. Die anderen wollten Bruecken
mauern mit Steinquadern und Moertel.
'Schwere Mauermassen und enge Boegen
lieben wir an alten Bruecken,' sagten
die einen. 'Wir verlangen die deutliche
Heraushebung der Funktionen, die klare
Darstellung des Kraeftevorganges bis
in die Einzelheiten hinein, Sauberkeit
auf jeder Linie, Verzicht auf jede nicht
notwendige Zutat, Kompromißlosigkeit,
einfachste und klarste Form.' Das seien
seelenlose Rechenwerke, entgegneten
die andern. Die Aufgabe des Baumeisters
ist, Material und Massen zu formen und
nicht zu reproduzieren. 'Mit Quadern
bauen, heißt den Raum zu gestalten,
die Autobahn wird zur Plastik, die im
Raum steht. Beton ist ein kuenstlicher
Stoff, er kriegt keine Patina. Aber
Steinbruecken sind feierlich wie Domgewoelbe.'
(...) Es wurden fuer die Autobahn Steinbruecken
und Stahlbetonbruecken gebaut. (...)
Die meisten Steinbruecken hatten in
Wahrheit einen Betonkern. Die Steine
waren vorgeblendet. Wer ueber eine Bruecke
faehrt, wird ohnehin nicht viel bemerken
von der AEsthetik des Bauwerks. Die
Bruecken waren bestimmt fuer den Blick
jenseits der Autobahn.'(2). Sie waren
Teile einer als Kunstwerk konzipierten
Anlage eines Streckennetzes, heißt
es, und weiter: 'Die Autobahn machte
einen Schnitt ins Land. Sie stellte
einen Zusammenhang her.'(3) Zerteilen
und Zusammenfuegen, Teil einer Operation.
Zusammenhaenge herstellen, die sich
dann von anderen beobachten lassen.
Und nur von anderen. Jene Leute aber,
wir, von denen in Elfriede Jelineks
Wolken.Heim zu lesen ist, beobachten
sich nicht bei der Fortbewegung. Sie
sind emphatisch gestimmt: 'Ein schoenes
Gefuehl, in der Nacht ueber unsre Autobahnbruecken
zu fahren, und untern strahlt es aus
den Lokalen: noch mehr Menschen wir
wir! Ein heller Schein. Die Figuren,
Fremde wie wir, Reisende, stroemen in
die Busbahnhoefe, um sich zu verteilen,
von Ort zu Ort (...).'(4) Wir sind wir.
Wir, die wir uns bezeugen. Wir, die
wir hier sind. Uns gehoeren. Bei uns
sind. Zu Haus: Kein Ort fuer Selbstbeobachtung.
In konventionellen Vorstellungen wie
der Gadamers sorgen die uebersetzer
als ordentliche Brueckenbauer hingegen
fuer einen 'bestaendig fließende[n]
Verkehr', sie garantieren eine stoerungsfreie
Vermittlung zwischen dem Selbst und
dessen Lektuere. UEbersetzungen, wenn
auch von praktischer Notwendigkeit,
gelten einer konventionellen Bestimmung
nach als dem Original nachrangig und
als sekundaer. Die Autoritaet des Originaltextes,
insbesondere des literarischen Selbst
als einem Irreduzibel-Besonderem, gegenueber
der UEbersetzung bleibt damit unhinterfragt.
Sie wird in ihren Effekten fortgeschrieben.
Was nichts anderes heißt, dass
die Autoritaet des Originals ueberliefert
und dabei zugleich die Machtsetzung
verschleiert wird, die von ihrer definitiven
Bestimmung ausgeht. Auf diese Autoritaet
wiederum beruft sich eine Literaturkritik,
die als gesetzgebende anerkannt zu werden
verlangt. Kann denn aber ausgeschlossen
werden, dass beim Grenzueberschreiten
selbst nach einem moeglicherweise vorausgehenden
Bau eines Brueckenkopfes, also bei einer
sorgfaeltig vollzogenen Operation Gespenster
begegnen? Gespenster, die dafuer sorgen,
dass der sich in der von ihnen heimgesuchten
UEbersetzung von Woertern in eine andere
Sprache ergebene Verlust ihrer Bildlichkeit,
nicht immer der Verstaendlichkeit zugute
kommt, sie nicht zur Ruhe und Einheit
kommen laesst.
'Kaum
hatte ich die Grenze ueberschritten,
da stuerzten sich mir die Gespenster
entgegen.' Ein Zwischentitel aus Friedrich
Murnaus Nosferatu (1922) taucht
in Jean-Luc Godards Allemagne Neuf
Zéro (1990) auf, dem Produkt
eines Filmemachers, der offen zugibt:
'Im gesamten Film gibt es beinahe kein
eigenes Wort von mir. Es sind alles
Zitate, aber sind durch meine Erinnerung
gegangen.' Ein Satz bebildert eine Vorstellung.
Reden, also Zitieren, mit den Worten
und Bildern anderer. Also fremden? Was
kann man anderes erwarten, hier und
jetzt? Anschließend setzt Eddie
Constantin, der hier den wiedererwachten
Lemmy Caution aus Alphaville
(1965) darstellt, ueber den Fluss. Direkt
neben der Glienicker Bruecke. Einer
Bruecke, deren oestlicher Teil im Westen,
genauer gesagt im amerikanischen Sektor
von Berlin lag. Eine besondere Herausforderung
an die Perspektive, ueber die eine Grenze
verlaeuft, unpassierbar gemacht im Alltag.
'Wir mußten die Bruecke vor Angriffen
aus dem eigenen Hinterland und von Westberliner
Seite her schuetzen. Die Soldaten der
Grenztruppen sind hier, wie im gesamten
Grenzsystem, fuer acht Stunden aufgezogen.
Rund um die Uhr hat hier ein Grenzposten
gestanden. Dieser Posten hat nicht direkt
auf der Bruecke gestanden, denn die
war ja aus Sicherheitsgruenden total
verbaut. Vorne waren riesige Sperrelemente
aus Beton, sie waren mit Blumen bepflanzt,'
erinnert sich Thomas Segeth, von 1988
bis zur zur oeffnung der Bruecke in
der Nacht vom 9. auf den 10. November
Kompaniechef der Sicherungskompanie.(5)
Sie diente als die Kulisse fuer oeffentlichkeitswirksame
Entspannungsgesten: den Austausch von
Agenten, in den Worten der in der in
Berlin, Hauptstadt der DDR ansaessigen
Nachrichtenagentur ADN 'Kundschafter'
genannt, die in Großraumlimousinen
mit getoenten Fenstern stiegen. Unter
dem Blick von Fernsehkameras und Fotoapparaten,
also Medienapparaten zur massenhaften
Verbreitung von Bildern, die den sonst
nicht sichtbar zu machenden Kalten Krieg
und die das Denken und Leben bestimmende
politische Blockbildung illustrieren
sollten. Eine stilechte Inszenierung
der Wirklichkeit, die sich die Fiktion
den Agentenfilm zum Vorbild genommen
hatte. Auch dazu gemacht, von beiden
Seiten beobachtet zu werden und nach
beiden Seiten hin zu beobachten. Die
Bruecke verbindet, heißt es in
Heideggers 'Bauen Wohnen Denken', 'nicht
nur schon vorhandene Ufer. Im UEbergang
der Bruecke treten die Ufer erst als
Ufer hervor. Die Bruecke laeßt
sie eigens gegeneinander ueber liegen.
Die andere Seite ist durch die Bruecke
gegen die eine abgesetzt. Die Ufer ziehen
auch nicht als gleichgueltige Grenzstreifen
des festen Landes den Strom entlang.
Die Bruecke bringt mit den Ufern jeweils
die eine und die andere Weise der rueckwaertigen
Uferlandschaft an den Strom. Sie bringt
Strom und Ufer und Land in eine wechselseitige
Nachbarschaft.'(6) Will man nicht mit
Hilfe von UEbersetzung versuchen, jenen
sich zwischen Text und Text, Kultur
und Kultur auftuenden Abgrund zu schließen,
sollte es dann nicht die Aufgabe zu
sein, mittels der UEbersetzung diesen
Unterschied zu denken und in ihr selbst
die Positionierungen und Obsessionen
von UEbersetzungsoperationen zu entdecken
zu versuchen? Sie stellt uns die Frage
nach der Art, wie jene Textoekonomie
beschrieben werden kann, die durch die
UEbersetzung hindurch zirkuliert. Das
ist eine Aufgabe des UEbersetzers.
Jean-Luc
Godard: Allemagne Neuf Zéro
NOTES
(as
published, in English)
1.
Hans-Georg Gadamer, 'Lesen ist wie UEbersetzen'
, in: Gesammelte Werke, Band
8, AEsthetik und Poetik 1. Kunst als
Aussage, Tuebingen 1993, p. 284.
2.
Hartmut Bitomsky, 'Reichsautobahn'
in: Jutta
Pirschtat (ed.). Die Wirklichkeit
der Bilder.
Der Filmemacher Hartmut Bitomsky,
Essen 1992, p. 75.
3.
ibid p. 76.
4.
Elfriede Jelinek, Wolken.Heim,
in: Elfriede Jelinek. Stecken, Stab
und Stangl. Raststaette.
Wolken.Heim.
Neue Theaterstuecke, Reinbek
1997, p. 137.
5.Thomas
Segeth, commanding officer of the security
forces from 1988 to the opening of the
bridge during the night of November
9-10, 1989; see: Thomas Blees, Glienicker
Bruecke, Berlin 1998. 6.
Martin Heidegger, 'Bauen Wohnen Denken',
in: Martin Heidegger. Vortraege
und Aufsaetze,
Teil 11, Pfullingen 1954, p. 26.