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UEberbruecken, Leben, Schreiben An essay by German scholar Nils Plath. The original German language version. First published in Percutio 2006 (added 16.06.2010).

 

UEberbruecken, Leben, Schreiben

Nils Plath

fuer C.P. in K.

'Lesen ist wie ein UEber-setzen von einem Ufer zu einem fernen anderen, von Schrift in Sprache. Ebenso ist das Tun des UEbersetzers eines 'Textes' UEber-setzen von Kueste zu Kueste, von einem Festland zum anderen, von Text zu Text.' (1) Das lesen wir in einem Aufsatz von Hans-Georg Gadamer. Ein nicht mehr ganz neuer Topos und eine Bildlichkeit finden wir hier wieder, mit deren Hilfe die Vollzugsweise des Verstehens in der Auslegung und sein grundlegendes Sprach- und Literaturverstaendnis beschrieben wird. Schon das Lesen von poetischen Texten in der eigenen Muttersprache gleicht nach dieser hermeneutischen UEberzeugung einer UEbersetzung, die fast wie eine UEbersetzung in eine Fremdsprache ist. Auffaellig, dass sich auch hier die Aussagen zum Lesen, Verstehen und UEbersetzen von Metaphern des Ortes verbuergen lassen.

Die Bruecke, ein erhabenes Symbol. Die deutsche Sprache kennt den Begriff des Baukunstwerks. Bruecken zaehlen zu ihnen und sind doch vielleicht mehr als jedes andere Bauwerk einer primaeren Funktion unterworfen. Die ist klar definiert: sie garantiert den Transport. So scheint es. Ein Satz aus einem Dokumentarfilm laesst uns etwas anderes wissen: 'Die Autobahnbruecke traegt eine Perspektive in die Landschaft ein.' Der Titel: Reichsautobahn. Regie, Buch, Schnitt: Hartmut Bitomsky, 1986 erstaufgefuehrt. Er handelt vom Bau der deutschen Autobahn: ein gemachter Mythos, ein Gesamtkunstwerk, in dem Bruecken wie einst die Kathedralen wirken sollten. Der Kommentar: 'Es gab zwei Fraktionen von Brueckenbauern, die ihre Auseinandersetzungen hatten. Architekten hier, Ingenieure dort. So waren die Rollen verteilt. Die einen wollten moderne Bruecken konstruieren, aus Beton und Stahl. Die anderen wollten Bruecken mauern mit Steinquadern und Moertel. 'Schwere Mauermassen und enge Boegen lieben wir an alten Bruecken,' sagten die einen. 'Wir verlangen die deutliche Heraushebung der Funktionen, die klare Darstellung des Kraeftevorganges bis in die Einzelheiten hinein, Sauberkeit auf jeder Linie, Verzicht auf jede nicht notwendige Zutat, Kompromißlosigkeit, einfachste und klarste Form.' Das seien seelenlose Rechenwerke, entgegneten die andern. Die Aufgabe des Baumeisters ist, Material und Massen zu formen und nicht zu reproduzieren. 'Mit Quadern bauen, heißt den Raum zu gestalten, die Autobahn wird zur Plastik, die im Raum steht. Beton ist ein kuenstlicher Stoff, er kriegt keine Patina. Aber Steinbruecken sind feierlich wie Domgewoelbe.' (...) Es wurden fuer die Autobahn Steinbruecken und Stahlbetonbruecken gebaut. (...) Die meisten Steinbruecken hatten in Wahrheit einen Betonkern. Die Steine waren vorgeblendet. Wer ueber eine Bruecke faehrt, wird ohnehin nicht viel bemerken von der AEsthetik des Bauwerks. Die Bruecken waren bestimmt fuer den Blick jenseits der Autobahn.'(2). Sie waren Teile einer als Kunstwerk konzipierten Anlage eines Streckennetzes, heißt es, und weiter: 'Die Autobahn machte einen Schnitt ins Land. Sie stellte einen Zusammenhang her.'(3) Zerteilen und Zusammenfuegen, Teil einer Operation. Zusammenhaenge herstellen, die sich dann von anderen beobachten lassen. Und nur von anderen. Jene Leute aber, wir, von denen in Elfriede Jelineks Wolken.Heim zu lesen ist, beobachten sich nicht bei der Fortbewegung. Sie sind emphatisch gestimmt: 'Ein schoenes Gefuehl, in der Nacht ueber unsre Autobahnbruecken zu fahren, und untern strahlt es aus den Lokalen: noch mehr Menschen wir wir! Ein heller Schein. Die Figuren, Fremde wie wir, Reisende, stroemen in die Busbahnhoefe, um sich zu verteilen, von Ort zu Ort (...).'(4) Wir sind wir. Wir, die wir uns bezeugen. Wir, die wir hier sind. Uns gehoeren. Bei uns sind. Zu Haus: Kein Ort fuer Selbstbeobachtung.

In konventionellen Vorstellungen wie der Gadamers sorgen die uebersetzer als ordentliche Brueckenbauer hingegen fuer einen 'bestaendig fließende[n] Verkehr', sie garantieren eine stoerungsfreie Vermittlung zwischen dem Selbst und dessen Lektuere. UEbersetzungen, wenn auch von praktischer Notwendigkeit, gelten einer konventionellen Bestimmung nach als dem Original nachrangig und als sekundaer. Die Autoritaet des Originaltextes, insbesondere des literarischen Selbst als einem Irreduzibel-Besonderem, gegenueber der UEbersetzung bleibt damit unhinterfragt. Sie wird in ihren Effekten fortgeschrieben. Was nichts anderes heißt, dass die Autoritaet des Originals ueberliefert und dabei zugleich die Machtsetzung verschleiert wird, die von ihrer definitiven Bestimmung ausgeht. Auf diese Autoritaet wiederum beruft sich eine Literaturkritik, die als gesetzgebende anerkannt zu werden verlangt. Kann denn aber ausgeschlossen werden, dass beim Grenzueberschreiten selbst nach einem moeglicherweise vorausgehenden Bau eines Brueckenkopfes, also bei einer sorgfaeltig vollzogenen Operation Gespenster begegnen? Gespenster, die dafuer sorgen, dass der sich in der von ihnen heimgesuchten UEbersetzung von Woertern in eine andere Sprache ergebene Verlust ihrer Bildlichkeit, nicht immer der Verstaendlichkeit zugute kommt, sie nicht zur Ruhe und Einheit kommen laesst.

'Kaum hatte ich die Grenze ueberschritten, da stuerzten sich mir die Gespenster entgegen.' Ein Zwischentitel aus Friedrich Murnaus Nosferatu (1922) taucht in Jean-Luc Godards Allemagne Neuf Zéro (1990) auf, dem Produkt eines Filmemachers, der offen zugibt: 'Im gesamten Film gibt es beinahe kein eigenes Wort von mir. Es sind alles Zitate, aber sind durch meine Erinnerung gegangen.' Ein Satz bebildert eine Vorstellung. Reden, also Zitieren, mit den Worten und Bildern anderer. Also fremden? Was kann man anderes erwarten, hier und jetzt? Anschließend setzt Eddie Constantin, der hier den wiedererwachten Lemmy Caution aus Alphaville (1965) darstellt, ueber den Fluss. Direkt neben der Glienicker Bruecke. Einer Bruecke, deren oestlicher Teil im Westen, genauer gesagt im amerikanischen Sektor von Berlin lag. Eine besondere Herausforderung an die Perspektive, ueber die eine Grenze verlaeuft, unpassierbar gemacht im Alltag. 'Wir mußten die Bruecke vor Angriffen aus dem eigenen Hinterland und von Westberliner Seite her schuetzen. Die Soldaten der Grenztruppen sind hier, wie im gesamten Grenzsystem, fuer acht Stunden aufgezogen. Rund um die Uhr hat hier ein Grenzposten gestanden. Dieser Posten hat nicht direkt auf der Bruecke gestanden, denn die war ja aus Sicherheitsgruenden total verbaut. Vorne waren riesige Sperrelemente aus Beton, sie waren mit Blumen bepflanzt,' erinnert sich Thomas Segeth, von 1988 bis zur zur oeffnung der Bruecke in der Nacht vom 9. auf den 10. November Kompaniechef der Sicherungskompanie.(5) Sie diente als die Kulisse fuer oeffentlichkeitswirksame Entspannungsgesten: den Austausch von Agenten, in den Worten der in der in Berlin, Hauptstadt der DDR ansaessigen Nachrichtenagentur ADN 'Kundschafter' genannt, die in Großraumlimousinen mit getoenten Fenstern stiegen. Unter dem Blick von Fernsehkameras und Fotoapparaten, also Medienapparaten zur massenhaften Verbreitung von Bildern, die den sonst nicht sichtbar zu machenden Kalten Krieg und die das Denken und Leben bestimmende politische Blockbildung illustrieren sollten. Eine stilechte Inszenierung der Wirklichkeit, die sich die Fiktion den Agentenfilm zum Vorbild genommen hatte. Auch dazu gemacht, von beiden Seiten beobachtet zu werden und nach beiden Seiten hin zu beobachten. Die Bruecke verbindet, heißt es in Heideggers 'Bauen Wohnen Denken', 'nicht nur schon vorhandene Ufer. Im UEbergang der Bruecke treten die Ufer erst als Ufer hervor. Die Bruecke laeßt sie eigens gegeneinander ueber liegen. Die andere Seite ist durch die Bruecke gegen die eine abgesetzt. Die Ufer ziehen auch nicht als gleichgueltige Grenzstreifen des festen Landes den Strom entlang. Die Bruecke bringt mit den Ufern jeweils die eine und die andere Weise der rueckwaertigen Uferlandschaft an den Strom. Sie bringt Strom und Ufer und Land in eine wechselseitige Nachbarschaft.'(6) Will man nicht mit Hilfe von UEbersetzung versuchen, jenen sich zwischen Text und Text, Kultur und Kultur auftuenden Abgrund zu schließen, sollte es dann nicht die Aufgabe zu sein, mittels der UEbersetzung diesen Unterschied zu denken und in ihr selbst die Positionierungen und Obsessionen von UEbersetzungsoperationen zu entdecken zu versuchen? Sie stellt uns die Frage nach der Art, wie jene Textoekonomie beschrieben werden kann, die durch die UEbersetzung hindurch zirkuliert. Das ist eine Aufgabe des UEbersetzers.



Jean-Luc Godard: Allemagne Neuf Zéro


NOTES (as published, in English)

1. Hans-Georg Gadamer, 'Lesen ist wie UEbersetzen' , in: Gesammelte Werke, Band 8, AEsthetik und Poetik 1. Kunst als Aussage, Tuebingen 1993, p. 284.

2. Hartmut Bitomsky, 'Reichsautobahn' in: Jutta Pirschtat (ed.). Die Wirklichkeit der Bilder. Der Filmemacher Hartmut Bitomsky, Essen 1992, p. 75.

3. ibid p. 76.

4. Elfriede Jelinek, Wolken.Heim, in: Elfriede Jelinek. Stecken, Stab und Stangl. Raststaette. Wolken.Heim. Neue Theaterstuecke, Reinbek 1997, p. 137.

5.Thomas Segeth, commanding officer of the security forces from 1988 to the opening of the bridge during the night of November 9-10, 1989; see: Thomas Blees, Glienicker Bruecke, Berlin 1998. 6. Martin Heidegger, 'Bauen Wohnen Denken', in: Martin Heidegger. Vortraege und Aufsaetze, Teil 11, Pfullingen 1954, p. 26.